Karlheinz Graudenz – Das Buch der Etikette, 1956
(…) Künstlerische Veranstaltungen. Der Besuch einer jeden künstlerischen Veranstaltung setzt eine gewisse innere und äußere Bereitschaft voraus. Ohne innere Bereitschaft sind Freude und Genuß nur oberflächlich. Die äußere Bereitschaft, die sich in der passenden Kleidung dokumentiert, gibt ihr den festlichen Rahmen. Wer eine Operette, ein Theater, ein Konzert oder eine Ausstellung zu besuchen gedenkt, der mag berücksichtigen, daß bereits die Vorfreude einen Teil des erwarteten Kunstgenusses bedeutet. In dem Augenblick, da man die Karten besorgt – und das sollte man rechtzeitig tun, um nicht etwa vor ausverkauftem Hause zu stehen –, werden die Gedanken des wahren Kunstfreundes bereits auf den Abend gerichtet sein. Diese Genüsse, die wir uns je nach Geldbeutel und beruflicher Abkömmlichkeit mehr oder weniger häufig gönnen, sind die leuchtend bunten Farbflecken im Grau des arbeitsamen Alltags.
(…) Wir gewöhnen uns daran, niemals zu spät zu kommen! Pünktlichkeit ist nicht nur eine selbstverständliche Pflicht unseren Freunden, insbesondere natürlich der Damen, sowie den anderen Besuchern gegenüber, sondern erhöht auch den ruhigen Genuß der Darbietung. Sollten wir uns aber doch einmal verspätet haben, dann nehmen wir unsere Plätze so unauffällig und rücksichtsvoll wie möglich ein, warten vielleicht sogar die Ouvertüre oder den Schluß des ersten Aktes ab. Anzug-, Kleider- und Frisurkontrollen erfolgen im Foyer, nicht etwa auf den Sitzplätzen!
Um die Garderobe der Dame kümmert sich der Herr. Er nimmt ihr die Sachen ab und verwahrt auch die Garderobenmarke. Auch Hüte sind abzugeben. Bei Konzerten können die Damen einen kleinen Abendhut aufbehalten. Es gibt sogar Länder, in denen es auffällt, wenn eine Dame zum Konzert keinen Hut trägt. (…)