Die technische Lösung

Vertrauen und Mißtrauen lassen sich, so scheint es, nicht miteinander vereinbaren, aber in der Praxis haben sich die beiden längst zusammengetan und die gemeinsame Tochter Vorsicht gezeugt. „Vorsicht”, so charakterisierte der ungarische Schriftstelle Jozsef Eötvös die Lage, „Vorsicht im Vertrauen ist notwendig, aber noch notwendiger Vorsicht im Mißtrauen.” Wie der stets erfinderische Mensch dieses sowohl ungeheuer problematische als auch philosophische Dilemma mit geübter Hand auf die Technik abwälzt, schildert im folgenden der sowjetische Satiriker W. Bachnow an einem utopischen Ereignis — mit unbegrenztem Vertrauen in das Verständnis der Leser.

In Neustadt wurde kürzlich ein Juweliergeschäft mit Selbstbedienung eröffnet. Der Direktor dieses in seiner Art einmaligen Geschäftes gab unserem Reporter ein Interview: „Herr Direktor, ist dieses kühne Experiment nicht ein weiterer leuchtender Beweis für das Vertrauen, das der Handel den Kunden entgegenbringt?”

„Ja, ich denke auch, das ohne weiteres, ja, unbedingt.” „Ist dies nicht weit mehr als nur eine neue Form des Handels mit Juwelen, sondern vor allem eine Erziehung von Kunden mit hohem Bewußtsein, eine Erziehung durch Vertrauen?”

“Genau! Auch unser Kollektiv nimmt an, daß die Hauptaufgabe dieses Geschäftes die Erziehung ist. Die Erziehung der Kunden natürlich.” „Mit anderen Worten — diese Selbstbedienung in Juwelen ist in erster Linie eine Schmiede, aus der bewußte Käufer hervorgehen.” „Ja, so muß man das sehen. „Und wie steht es nun um die technische Ausstattung? Ich hörte, daß Sie eine ganze Reihe technischer Neuerungen zur Steigerung der Verkaufskultur einführten?”

„Es gibt hier viele Neuerungen. Das Wichtigste ist jedoch: Es wurde alles getan, damit wir dem Kunden vertrauen können und er uns.” „Zum Beispiel?” „Beispielsweise: Der Kunde erhält hier keine Garderobenmarke, sondern eine elektronische Anlage, die niemals die Sachen durcheinanderbringt, sie übernimmt Annahme und Ausgabe.” „Interessant! Das heißt also, daß der Kunde seine Garderobe abgibt.” „Ja. bevor er den Verkaufsraum betritt, gibt er seine Oberbekleidung ab. Seine Unterwäsche übrigens auch.” „Verzeihung, aber womit bekleidet gehen denn die Kunden …” „In Spezialpyiamas, die sie dann später wieder abgeben. Sie erhalten ihre Bekleidung zurück und können das Geschäft nach der Leibesvisitation jederzeit ungehindert verlassen — falls sie keine schweren Schäden am Pyjama verursacht haben.”

„Was für schwere Schäden könnten sie denn schon an einem Pyjama verursachen?” „Na, hören Sie! Die Knöpfe am Pyjama sind wahre Wunder der Elektronik – Miniaturfernsehkameras! Stellen Sie sich vor: An einem Pyjama befinden sich vier Knöpfe, die an den Hosen gar nicht mitgerechnet. Begreifen Sie, welch wertvolle Pyiamas wir unseren Kunden anvertrauen? Ohne Vorlage des Ausweises! Bedarf es noch eines weiteren Beweises für unser großes Vertrauen dem Kunden gegenüber?”

„Aber nein!” „Außerdem erhält der Kunde ein Spezialverpackungsmaterial, in das er die von ihm ausgewählte Ware wickelt, wodurch unser elektronisches Rechenzentrum Informationen zur Bearbeitung empfängt. Am Kassenautomaten liegt dann bereits die Rechnung für den Kunden bereit, und das war’s.”

„Herrlich, wie einfach und schnell und ohne anstehen!” „Ja, angestanden wird bei uns nicht. Höchstens vor der Röntgenabteilung.” – „Wo, bitte?”

„Beim Röntgen. Die Kunden kriegen den Magen geröntgt, bevor sie das Geschäft verlassen.” „Aha. Nun noch eine letzte Frage: Wie sieht das Sortiment in diesem neuartigen Juwelen-Selbstbedienungsladen aus?”

„Nun, bis ietzt … Also, wir sind noch dabei, die Technik beherrschen zu lernen und die Kunden zu erziehen. Bis ietzt gibt es bei uns Gemüsekonserven, Fruchtsäfte, Mohrrüben, Bohnen, Zwiebeln, Salzgurken und so weiter. Aber wenn wir die Elektronik erst beherrschen und den Kunden erzogen haben, dann werfen wir auch ein paar Diamanten und Brillanten in die Regale.”