Faszination Garderobenmarken

Nichts scheint harmloser als eine Garderobenmarke. Doch hinter der freundlichen Fassade lauern hintergründige Fragen: Hängt irgendwo ein einsamer Mantel, der auf Abholung wartet? Friert jemand gerade ganz erbärmlich oder riskiert gar eine Lungenentzündung? Wurde die Marke mutwillig entfernt oder war sie in den Tiefen der Taschen nicht mehr auffindbar? Warum ist sie jetzt hier, obwohl sie woanders seien müsste? Es kann doch gar nicht sein! Währenddessen kichert die Garderobenmarke vor sich hin.

Denn es ist alles ganz anders: Institutionen verschwinden, ändern den Namen oder stellen auf ein neues, günstigeres System um. Dann enden die gewissenhaften Garderobenmarken als billiger Trödel und werden über Online-Portale in die ganz Welt vertickt. Wo ist der einstige Stolz geblieben?

Was bleibt, sind schlichte bis fantasievoll gestaltete Kunstwerke und ein Gruß aus vergangener Zeit. Der Kopf füllt sich mit Bildern: von festlich erleuchteten Foyers, mehr oder weniger entspannten Garderobieren, großen Roben oder der Vorfreude auf einen spektakulären Theaterabend. Die individualisierte Garderobenmarke ist ein Kind des 20. Jahrhunderts, als der Sparzwang noch nicht überall angekommen, noch nicht alles durchrationalisiert war. Mäntel und Taschen wurden persönlich entgegengenommen und mit wachsamen Auge betreut. Bis heute gibt es Garderoben, doch meist mit neutralen Marken oder Papiertickets. Andernorts, zum Beispiel in Museen oder Bibliotheken, ist am Spind schon lange Schluss mit Service.

Garderobenmarken sind ein Spiegel ihrer Zeit und ihrer Herkunft. Eine Marke der UDSSR aus den 30er Jahren und die gleichalte des französischen Art decos haben außer der Funktion nicht viel gemeinsam. Hier zeigen sich Lebensart, das Kulturverständnis, technische und finanzielle Möglichkeiten und schlicht der jeweilige Geschmack. Nicht wenige Institutionen haben ihr Bedürfnis nach Statussymbolen auf die Garderobenmarken ausgeweitet. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Jede Garderobenmarke ist ein Einzelstück, das es mit genau dieser Nummer nie wieder auf der Welt gibt. Wohin wird es die Brüder und Schwestern verschlagen haben? Wie viele haben auf dem Müll ihr Leben beenden müssen? Ob wertiges Messing oder günstiger Kunststoff ‑ man spürt die Geschichte und versetzt sich intuitiv in Land und Leute hinein, während sich die überlebende Marke erschöpft, aber glücklich in die Hand schmiegt. Wie viele Hände mag sie im Laufe ihres beruflichen Lebens gesehen haben? Tausende und Abertausende. Standesunterschiede macht die Garderobenmarke dabei nicht. Egal, ob Promi oder Normalo ‑ vor der Garderobe sind alle gleich. Zufall, wer die eine, wer die andere Marke bekommt. Zufall, ob die Marke Pfand für einen teuren Pelzmantel oder einen verschlissenen Trenchcoat wird. Damit erweisen sich die Garderobenmarken als wahrhaftig soziale Kraft. Einfach faszinierend.